In dieser Homepage befinden sich Beiträge, verfasst von mir, die als unanständig bezeichnet werden.
Vermutlich haben diejenigen, die das so bewerten, nach landesüblichen Massstäben beurteilt völlig recht. «Anständig» kommt - so meine Mutmassung - von «anstehen», in der Reihe bleibend und wartend, bis man am Schalter bedient wird. Als Bub musste ich jahrelang Abend für Abend in die «Hütte» gehen, heute sagt man Molkerei, sofern solche noch in Betrieb sind, um Milch zu holen, jeden Tag 1,5 – 2.5 Liter Milch für die vierköpfige Familie, direkt vom Bauern geliefert, vom Käser abgewogen und seiner Frau in die kleinere Tonne geschüttet, aus der sie Liter um Liter mit stets ernster Mine an die anstehenden Kunden verkauft hat. Fünfzig Rappen kostete ein Liter, während der Vater pro Stunde drei Franken fünfzig verdient hat, in den Fünfzigerjahren. Da lernte ich das Anstehen, für mich als ungeduldiges Wesen eine tägliche Tortur, aber so lernte ich, oder lernte es eben nicht, das Anstehen. Wer nicht ansteht, gilt als unhöflich und hat keinen Anstand.
Und wenn man über andere Menschen schreibt, muss man auch anstehen, da hat man den Persönlichkeitsschutz zu respektieren. Anfangs der Achtzigerjahre schrieb ich einmal einen Leserbrief mit dem Titel: «Lieber Aussichtsberg als Hüsliberg». Der Anlass bestand in der Absicht vom Gemeinderat von Affoltern a.A. die Anhöhe nordöstlich der Gemeinde, jenes grosse, abschüssige Gebiet am Waldrand, das eine superschöne Aussicht bietet, mit Einfamilienhäusern zu bestücken, um habliche Steuerzahler anzulocken. Ich selber wohnte damals in einem einfachen Reiheneinfamilienhaus am Erlenweg, an jenem Hang, ganz unten, auf der Anhöhe der Badi, dem «Stigeli», an der vielbefahrenen Mühlebergstrasse. In meinem Leserbrief plädierte ich dafür, jenen grünen Hang mit dem ganz oben liegenden Spazierweg am Waldrand an dem oftmals die Rehe weideten, unbebaut zu belassen. Da wurde ich im Anzeiger eine Woche später massiv angegriffen, eben weil ich ja an jenem Hang, ganz unten wohnend, mich meldete. Da hiess es, ich sei gerade der Richtige, der das schreibe, selber von schöner Lage profitierend, was aber nur sehr bedingt stimmte. Ich wurde, wie mir schien, unanständig in die Pfanne gehauen. Und vielleicht kommt es von dort, dass ich manchmal ganz tief in die Geschichte eines Politikers eintauche, wenn ich sein Tun und Nichttun beschreibe. Das sei oftmals faktenwidrig und unanständig, hat mir eine an sich kritisch schreibende Journalistin soeben, am 14.4.25 mitgeteilt. Vielleicht hat sie recht. Aber es bleibt die Frage, inwieweit darf man das Wirken eines Politikers, oder einer Amtsinhaberin, was die Öffentlichkeit betrifft, beschreiben? Meine Beiträge gelten oft dem regionalen Spital. Nicht der dort erbrachten Gesundheitsversorgung, sondern der Spitalleitung, dem Verwaltungsrat als strategisches Organ, wo trotz produzierten Defiziten hohe Beträge im Hunderttausenderbereich unter dem Titel «Sitzungsgeld» hemmungslos abgezügelt werden. Muss man da, in Anbetracht dieser oder jener Unanständigkeit seinerseits still bleiben? Ist es unanständig, deutlich die Persönlichkeit des «Täters» zu beschreiben? Darf man auf den Charakter und eventuell fehlender Bildung und Ausbildung dieser abzockenden Leute hinweisen? Darf man dergestalt zielend und beschreibend sich dem Thema «Abzocken» annähern? Vermutlich schon. Und das völlig «unanständig». So könnte die Frage reifen: Darf man gegenüber politisch tätigen Menschen die Anständigkeit abstreifen, sofern die Fakten stimmen?
Niklaus Meienberg, 1940 – 1993, ein Beispiel von lebhaftem, demaskierendem, politisch relevantem Journalismus war oder ist mir ein Vorbild. Ich hatte das grosse Glück, ihm im Zusammenhang meiner Tätigkeit bei der Leserzeitung in den Jahren um 1975 persönlich oftmals zu begegnen. Aber auch er ist – trotz grosser Beachtung – in etablierten Kreisen nicht auf grosse Gegenliebe gestossen. Vielleicht war es auch sein "offener" Schreibstil. Als Motorradfahrer mit schwerer Maschine verfasste er einmal für das Tagesanzeiger-Magazin eine Reportage mit dem Titel "Motorradfahrer-Treffen in Assen", Niederlande. Da stand z.B. der Satz. "Die Auspuffrohre ragten wie geile Schänze in den Himmel". Und kurz darauf machte er einige Bemerkungen zum 50. Amtsjahr des damaligen Fürsten von Lichtenstein. Gekonnt und umfassend informiert machte er die Leser darauf aufmerksam, dass der Fürst auch in Oesterreich über grosse Wäldereien und Bauland verfüge, ausserdem eine grosse Bildersamlung, gebunkert unterhalb seinem Schloss in Vaduz im Fels horte und er Besitzer der lukrativen Lichtensteinischen Bank sei. Alles zusammen genommen verfüge er über Miliardenwerte - so Meinenberg - und fügte halt unverblümt hinzu, was die Fürst-gläubigen Lichtensteiner noch heute nicht gerne hören: Das sei dem Volk gestohlenes Vermögen. Das war zu offene Unanständigkeit. Der Tagi verlor damals nach den Worten von Verleger Conninx 50 Abos. Und so verlor Meienberg seinerseits, vom Verleger verfügt, die Bewilligung, beim Tagesanzeiger zu schreiben und die Freundschaft von Franz Hohler ging (wegen anderen Gründen) auch in die Brüche. Er als Migrationsfreund wurde bald darauf in der Nähe von seinem Wohnort in Örlikon von Marokkanern zusammengeschlagen und beraubt. Allmählich reichte es ihm. Einige Monate später schied er, dem sein Ansehen sehr wichtig war, aus dem Leben. Kurzum, ein Begabter, aber Unangepasster mit klarer, unanständiger Sprache fand sein trauriges Ende. Dabei hätte er gerade in jenen Zeiten, beim aufbrechenden Bankenskandal, in dem die Banken (UBS und CS) hochbetagten jüdischen Zeitgenossen das Guthaben ihrer Vorfahren kriminell vorenthielten, als Historiker so viel zu sagen gehabt. Also Unanständigkeit mit tragischem Ausgang für denjenigen, der auf eine riesige Unanständigkeit hingewiesen hat. Die Frage vom Anstand ist demzufolge auch eine Frage von Macht und dem Prestige der Kritisierten. Mit der Folge, genauso, wie mir Adolf Musch vor über 50 Jahren anlässlich einer Parteiversammlung sagte, dass bei uns der Brandmelder und nicht der Brand bekämpft werde...
Oder darf man eine Altersheimleiterin in ihrer Persönlichkeit beschreiben, dergestalt angreifen und ihr Tun und Nichttun erwähnen? Sie, die einen Lohn von rund 200'000 Franken bezieht, aber auch noch an zwei anderen Stellen tätig ist und selbstsicher auftretendes Personal rausschmeisst, und das in Zeiten von fehlenden Fachkräften? Nun, darüber lässt sich diskutieren. Vermutlich alles unanständig, was ich über sie geschrieben habe in den Augen wohlerzogener, höflicher und braver Bürger. Aber ich mache es, ich habe es getan. Und mache es wieder, bis den behördlichen Schafen und fahrlässig Wegguckern die Augen aufgehen (wenn überhaupt) und wir diese Frau an dieser Stelle schon recht bald nicht mehr sehen.
Beim Milchholen wurde ich gebremst, vermutlich bereits schon damals angewiesen oder zurechtgewiesen, anzustehen und nicht vorzudrängeln. Und jetzt lasse ich das Anstehen beiseite, sofern die Faktenlage mein Gerechtigkeitsgefühl tangiert. Aber übertreiben will ich nicht. Immer schön die Fakten erwähnend. Und sollte ich überborden, lade ich dazu ein, mir das faktenbasiert zu sagen.
Fazit: Persönlich zu wachsen und selbstkritisch durch die Gegend zu laufen ist ja nicht verboten, aber eben, wer nicht anständig ist, bekommt oftmals auf die Pfoten.
"Wenn kein Mensch mehr die Wahrheit
suchen und verbreiten wird,
dann verkommt alles Bestehende
auf der Erde, denn nur in der Wahrheit
sind Gerechtigkeit, Frieden und Leben".
Friedrich Schiller 1759 - 1805
Und es ist so schwer,
oftmals kommt die Wahrheit
nicht im höflichen Kleid daher.
Formuliert man sie deutlich
und klar,
der Ton im Grunde
selten liebevoll war.
Es kommen Brocken geflogen,
die empfindet der Betroffene
gerne als stark überzogen.
Roggi aus Stallikon, 1947 - 2041